Touchstone Dateien, üblicherweise mit der Endung .s1p oder .s2p sind lesbare Textdateien, die Netzwerk-Parameter enthalten. Diese Dateien sind zu einem Standard geworden. Sie können von vielen Programmen der HF-Meß- und Simulationstechnik gelesen und geschrieben werden. Mitunter ist es praktisch, sie auch mit einem Spreadsheetprogramm zu bearbeiten. Hier soll an einem einfachen Beispiel, den mit einem VNWA gemessenen s11 Parametern, die prinzipielle Vorgehensweise beschrieben werden.
Ein reales Beispiel
Hier ist das Ergebnis der s11-Messung einer kernlosen Zylinderspule. Die VNWA Betriebssoftware zeigt folgendes an:
s11-Messung an einer kernlosen Zylinderspule
Die Meßergebnisse können als Touchstone-Datei exportiert werden:
Hier wurde als Format Real und Imaginärteil gewählt. Andere Formate (Magnitude und Winkel bzw. dB und Phase) sind auch wählbar und können genauso gut weiterverarbeitet werden. Die ersten Zeilen sehen folgendermaßen aus:
! ListType=Lin
# MHz S RI R 50
5.0000000 0.0273505 0.9908113
5.0237559 0.0325082 0.9905086
Die erste Zeile startet mit einem „!“ und ist ein beliebiger Kommentar. Das „#“ in der zweiten Zeile kennzeichnet die Options-Zeile. In diesem Fall besagt sie, daß Frequenzen (erste Spalte) in MHz angegeben sind. Das „S“ bedeutet, daß s‑Parameter folgen und zwar im Format RI, also Realteil (zweite Spalte) und Imaginärteil (dritte Spalte). R kennzeichnet den Referenzwiderstand in Ohm, in diesem und den meisten anderen Fällen 50 Ohm. Dann folgen beliebig viele Zeilen mit s‑Parametern im beschriebenen Format. Andere Formate sollen hier nicht besprochen werden. Sie können der oben genannten Spezifikation entnommen werden.
Bevor man diese Datei nun mit einem Spreadsheet-Programm, wie z.B. LibreOffice, weiterverarbeiten kann, muß man sie in ein importfähiges Format umwandeln. Das geht am einfachsten, indem man sie mit einem beliebigen Text-Editor in ein CSV-Format umwandelt. CSV erwartet im einfachsten Fall eine Beschreibung der nachfolgenden Spalten in der ersten Zeile, gefolgt von den Daten. Spaltenelemente werden am besten durch „;“ getrennt, andere Trennzeichen sind aber auch möglich. Dann müssen noch auf den meisten europäischen PCs die Dezimaltrennzeichen von Punkt auf Komma geändert werden. Die importierbare CSV-Datei sieht dann so aus:
In LibreOffice importiert sieht das dann folgendermaßen aus:
s1p-File in LibreOffice importiert
Damit kann man arbeiten! Da LibreOffice mit einigen eingebauten Funktionen auch komplexe Zahlen bearbeiten kann, ist es hilfreich, die s11-Parameter zunächst in eine komplexe Zahl umzuwandeln. Das geht mit der Funktion Komplexe(real;imag;„j“) in Spalte D, wie hier für die erste Zeile gezeigt:
=KOMPLEXE(B2;C2;"j")
„real“ ist der Realteil und „imag“ der Imaginärteil der zu generierenden komplexen Zahl. Der dritte Parameter gibt an, wie die imaginäre Einheit genannt werden soll. In der Elektrotechnik wird normalerweise ein „j“ gewählt.
Da alle weiteren Berechnungen auf der komplexen Impedanz Z beruhen, sollte diese als nächstes berechnet werden. Das geht über folgende Formel:
1 + s11
Z = Z0 * ---------
1 - s11
In Libre Office wird die Formel dann folgendermaßen in Spalte E codiert:
=IMPRODUKT(50;IMDIV(IMSUMME(1;D2);IMSUB(1;D2)))
Die Bezeichnungen der Funktionen sind eigentlich selbsterklärend: IMSUMME() und IMSUB() berechnen die Summe bzw. die Differenz zweier komplexer Zahlen, IMDIV() den Quotienten und IMPRODUKT() das Produkt. Die Arbeit mit komplexen Zahlen wir damit zum Kinderspiel. Das Spreadsheet sieht nun folgendermaßen aus:
s1p-File mit s11 und Z als komplexen Zahlen
Aus der Impedanz und deren Komponenten X und R lassen sich nun wie in diesem Beitrag zusammengefasst weitere Parameter berechnen, z.B. die Induktivität L = X/ω und die Güte Q = X/R. Die dazu verwendeten LibreOffice-Funktionen sind:
Induktivität L [µH]: =IMAGINÄRTEIL(E2)/(2*PI()*A2)
Der Term „2∗PI()∗A2“ im Nenner entspricht dabei „2∗PI()∗f“, also ω. Da die Frequenz im MHz angegeben ist, wird die Induktivität ohne weitere Umrechnung in µH ausgegeben.
Güte Q: =ABS(IMAGINÄRTEIL(E2)/IMREALTEIL(E2))
Damit die Güte auch im kapazitiven Bereich positiv bleibt, wurde hier noch die ABS() Funktion verwendet.
Die Berechnung weiterer Parameter und die Weiterverarbeitung beispielsweise zum Glätten der Kurven und zur graphischen Darstellung sei dem geneigten Leser überlassen. Hier ist das Libre Office File zum Experimentieren:
Eine Spule zu bauen ist einfach: ein paar Windungen Draht auf einen passenden Wickelkern aufwickeln, einlöten, fertig. Deutlich schwieriger wird es, wenn die Spule bestimmte mechanische und elektrische Eigenschaften haben soll: Abmessungen, Induktivität, Güte, Selbstresonanzfrequenz (SRF) oder minimale elektrische Belastbarkeit für Senderendstufen und zur Antennenanpassung. Diese Beitragsreihe zeigt Beispiele zur Simulation idealer und realer Spulen mit LTSpice, zum Wickeln solcher Spulen und zur Messung der Parameter mit dem VNWA von DG8SAQ.
Wir starten mit einer kurzen Wiederholung der Grundlagen und der Simulation. Den üblichen Konventionen folgend werden hier komplexe Zahlen mit einem Unterstrich und die imaginäre Einheit, wie in der Elektrotechnik üblich, mit j gekennzeichnet.
Eine Spule hat die Induktivität L, die von ihren mechanischen Abmessungen bestimmt wird. Wird sie von einem elektrischen Strom durchflossen, erzeugt sie ein Magnetfeld, das Energie speichert. Jede Spule hat einen komplexen Wechselstromwiderstand, die Impedanz Z:
Impedanz:
Z = R + jω ∗ L
(1)
Der Realteil der Impedanz ist der Wirkwiderstand R:
Wirkwiderstand:
R = Re(Z)
(2)
Der Imaginärteil der Impedanz ist der Blindwiderstand X:
Blindwiderstand:
X = Im(Z) = 2πf ∗ L = ω ∗ L
(3)
Der Scheinwiderstand Z (nicht komplex, daher ohne Unterstrich) ist die pythagoräische Summe von Wirk- und Blindwiderstand:
Scheinwiderstand:
Z = |Z| = Mag(Z)
(4)
Die Spulengüte Q ist das Verhältnis des Blindwiderstandes X zum Wirkwiderstand R einer Spule:
Spulengüte:
Q = X / R
(5)
Re(), Im() und Mag() sind Funktionen, die LTSpice für komplexe Zahlen unterstützt.
Der Wirkwiderstand einer idealen Spule ist R = 0 Ω und ihr Blindwiderstand X steigt nach (3) proportional mit der Frequenz f. Das schauen wir uns nun einmal in einer LTSpice-Simulation an.
Simulation einer (fast) idealen Spule
Da die Simulation einer idealen Spule L1 mit R = 0 Ω nach (5) zu einer unendlichen Güte führt, beginnen wir mit der Simulation einer fast idealen Spule. Sie soll eine Induktivität von 10 µH, einen reellen Widerstand von R1 = 1 mΩ und keine parasitäre Parallelkapazität haben (C1 = 0 pF):
Ersatzschaltbild der fast idealen Spule
Die untere Zeile bedeutet, daß eine lineare AC-Simulation von 1 Hz bis 5 MHz und 500 Punkten durchgeführt wird. Hier die grafischen Ergebnisse:
AC Simulation der fast idealen Spule
Die Simulation zeigt oben den Scheinwiderstand Z (siehe (4)), in der mittleren Grafik die Induktivität der Spule (nach Gleichung (3)) und unten ihre Güte (nach (5)). Alle drei Parameter werden aus der komplexen Impedanz Z errechnet, die der Quotient der angelegten komplexen Spannung und dem daraus resultierenden komplexen Strom ist. LTSpice errechnet die Impedanz über die Formel Z = V(V1)/-I(V1). Das negative Vorzeichen beim Strom ergibt sich aus der Stromrichtung.
Durch Vektoraddition des Real- und Imaginärteils dieser Impedanz ergibt sich ein Summenvektor, dessen Länge der Scheinwiderstand Z = |Z| ist. LTSpice errechnet die Länge eines Vektors mit der Funktion mag():
Z = |Z| = mag(V(v1)/-I(V1))
Die Formel für den Blindwiderstand der Spule (3) wird nach der Induktivität aufgelöst also gilt L = X / ω:
L = 10∗∗6∗im(V(v1)/-I(v1))/w
Netterweise kennt LTSpice auch die Kreisfrequenz ω (= 2πf), die mit dem lateinischen Buchstaben „w“ in die Formel eingegeben wird. Dieser Ausdruck wird noch mit 106 multipliziert, damit das Ergebnis in µH angezeigt wird. Die dargestellte Einheit für die y‑Achse möge man hier ignorieren, es sollte tatsächlich µH sein, der Zahlenwert ist korrekt. Die Induktivität ist über die Frequenz konstant, so wie man es von einer idealen Spule erwartet.
Im unteren Diagramm ist die Spulengüte Q dargestellt, die nach (5) errechnet wird:
im(V(v1)/-I(V1))/Re(V(v1)/-I(V1))
Da der Blindwiderstand bei der idealen Spule linear mit der Frequenz steigt und der Wirkwiderstand konstant bleibt, steigt die Güte der Spule linear mit der Frequenz. Hier sieht man, warum eine „fast“ ideale Spule mit einem sehr geringen Wirkwiderstand größer als null gewählt wurde: die Güte würde sonst unendlich hoch (LTSpice fängt den Fehler der Division durch null ab, stellt aber keine Kurve dar). Bei einer realen (nicht supraleitenden) Spule sind die hier errechneten Güten von einigen 100k natürlich nicht erreichbar. Reale Spulen haben Güten zwischen 100 und 1000, mit Abweichungen nach oben und unten. Die Güte wird hier noch mit der Funktion abs() auf positive Werte umgerechnet. Wie sich später zeigen wird, würde sie sonst jenseits der Selbstresonanzfrequenz negativ, weil die Spule dann zu einem Kondensator mutiert.
Simulation realer Spulen
Eine reale Spule ist leider niemals ideal. Neben ihrer Induktivität L hat sie eine signifikante parallele Kapazität C und einen Wirkwiderstand R größer null:
Einfaches Ersatzschaltbild einer realen Spule
Den Wirkwiderstand bildet im wesentlichen der frequenzabhängige Widerstand des Wickeldrahtes. Er steigt wegen des Skin-Effekts und des Proximity-Effekts mit der Frequenz. Die Parallelkapazität C kommt durch die Nähe der einzelnen Windungen und der Anschlußdrähte zustande. R und C sind also konstruktionsabhängig und können daher in weiten Bereichen variieren. Nur um ein Gefühl zu bekommen: bei den für Amateurfunkzwecke im Kurzwellenbereich benötigten Spulen von etwa 50 nH ~ 25 µH, die mit Kupferdraht von ein bis zwei Millimeter Durchmesser gewickelt werden, liegt R in der Größenordnung von wenigen Ohm und C in der Größenordnung von wenigen Pikofarad.
L und C bilden einen Parallelschwingkreis, der die Nutzbarkeit der Spule schon deutlich unterhalb seiner Selbstresonanzfrequenz einschränkt. Bei Frequenzen oberhalb der SRF ist die Spule als solche völlig unbrauchbar, denn sie ist keine Spule mehr, sondern sie wirkt wie ein Kondensator. Wegen der Parallelkapazität C steigt der Blindwiderstand der Spule schon unterhalb der SRF nicht mehr proportional mit der Frequenz an, so wie es bei der idealen Spule der Fall wäre. Der Kondensator bewirkt einen überproportionalen Anstieg des Blindwiderstandes, der dann bei der Selbstresonanzfrequenz unendlich groß wird.
R aus dem obigen Ersatzschaltbild bestimmt damit also umgekehrt proportional die Güte der Spule: je kleiner R ist, umso höher ist die Güte. Da XL mit der Frequenz steigt, steigt also auch die Spulengüte mit der Frequenz. Das schauen wir uns jetzt mal in der Simulation an.
Simulation einer fast realen Spule
Schauen wir zunächst einmal, was passiert, wenn der Wirkwiderstand auf etwas übertriebene 10 Ω erhöht wird und die Parallelkapazität weiterhin entfällt:
Ersatzschaltbild der fast realen SpuleAC Simulation der fast realen Spule
Der Scheinwiderstand kann nicht niedriger als der Wirkwiderstand sein. Er ist daher auch bei niedrigen Frequenzen nicht nahe null, sondern er startet bei den vorgegebenen 10 Ohm. Bei steigenden Frequenzen wird der Wirkwiderstand gegenüber dem Blindwiderstand immer weniger signifikant, so daß sich der Scheinwiderstand zu höheren Frequenzen hin nicht sichtbar von der vorigen fast idealen Simulation unterscheidet.
Die Induktivität bleibt auch hier konstant über der Frequenz. Auch die Güte bleibt linear frequenzabhängig, fällt aber signifikant ab. Das ist natürlich kein Wunder, denn der Wirkwiderstand steht im Nenner und geht umgekehrt proportional in die Güte ein.
Simulation einer realen Spule
Soweit war das zu erwarten. Jetzt schalten wir noch einen Kondensator von (relativ realen) 10 pF parallel und schauen uns das Ergebnis an:
Ersatzschaltbild der realen Spule
Zu Beachten ist, daß diesmal die Simulation bis 12 MHz und damit nahe an die SRF der Spule von knapp 16 MHz geht.
AC Simulation der realen Spule
Scheinwiderstand, errechnete Induktivität und Güte ändern sich nun signifikant und nicht mehr linear mit der Frequenz. Bei niedrigen Frequenzen bleibt die Induktivität bei 10 µH und steigt dann mit der Frequenz stark an. Bei 12 MHz hat sie schon eine errechnete Induktivität von 23 µH. Die Güte der realen Spule steigt zunächst mit der Frequenz an, erreicht (hier bei etwa 9 MHz) ein Maximum und fällt dann wieder ab.
Bei diesen Simulationsergebnissen stellt sich sofort die Frage, ob die Simulation korrekt ist. Es sei hier vorweggenommen, daß die Messungen an realen Spulen mit dem VNWA dieselben Ergebnisse liefern, die Induktivität der Spule steigt mit der Meßfrequenz an. Hat die Spule also bei 12 MHz tatsächlich mehr als die doppelte Induktivität als bei 6 MHz? Welcher Wert gilt denn nun?
Bauen wir einfach mal einen Parallelschwingkreis für 12 MHz. Aus der bekannten Thomsonschen Schwingungsgleichung berechnen wir die notwendige Parallelkapazität.
Resonanzfrequenz:
1
f0 = ───────────────
_____
2 ⋅ π ⋅ ╲╱L ⋅ C
(6)
Für L = 10 µH errechnet man für 12 MHz eine Parallelkapazität von 17,6 pF. Zu den bereits parasitär vorhandenen 10 pF müssen wir also 7,6 pF für die Resonanz hinzufügen. Rechnen wir mit der simulierten bzw. gemessenen Induktivität von 23 µH bei 12 MHz, die schon die 10 pF enthält, dann kommen wir ebenfalls auf 7,6 pF. Für einen Parallelschwingkreis sind also beide Induktivitäten korrekt und führen zum selben Ergebnis. Gleiches gilt für den Serienresonanzkreis.
Zusammengefasst: nimmt man zur Schwingkreisberechnung die bei niedriger Frequenz gemessene Induktivität, so muß man für den Kondensator immer noch die tatsächliche parasitäre Kapazität berücksichtigen, also von der errechneten Kapazität abziehen. Nimmt man die bei der Sollfrequenz gemessene Induktivität für die Berechnung, dann ist die parasitäre Kapazität bereits „eingepreist“ und man berechnet nur noch die zusätzlich benötigte Kapazität.
Die Güte steigt zunächst recht linear mit der Frequenz an, so wie bei der idealen Spule. Sie erreicht aber ein Maximum und wird bei der SRF zu null, weil dann der Wirkwiderstand sehr groß wird.
Simulation einer realen Spule bis oberhalb der Selbstresonanzfrequenz
Nachfolgend noch eine Simulation der realen Spule bis 20 MHz, also über die SRF hinaus.
Ersatzschaltbild der realen Spule bis über die Selbstresonanzfrequenz hinausAC Simulation der realen Spule bis über die Selbstresonanzfrequenz hinaus
Hier sieht man das Verhalten bei der Selbstresonanzfrequenz von knapp 16 MHz. Der Scheinwiderstand wird sehr hoch, so wie man das von einem Parallelschwingkreis erwartet. Bei der SRF werden Induktivität und Güte rechnerisch zu null, darüber haben wir es mit einem Kondensator zu tun. Die Impedanz wird negativ und die Güte wird von der deutlich höheren Güte des Kondensators bestimmt.
Diese Simulation erlaubt mit der nach C umgeformten Thomsonschen Schwingungsgleichung (6) die Berechnung der parasitären Kapazität: C = 1/(L∗ω2). Mit der bei niedrigen Frequenzen gemessenen Induktivität von 10 µH und der SRF bei 15,9 MHz ergibt sich dann die parasitäre Kapazität von 10 pF.
Soweit zur Spice-Simulation elektrischer Spulen. Im nächsten Teil dieser Serie sollen real gewickelte Spulen mit dem VNWA gemessen und bewertet werden.